Rise - Viel mehr als ein depressiver Glee-Klon mit Ted Mosby

24.05.2018 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
RiseNBC
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Vor 10 Jahren sah ich das erste mal Spring Awakening und jetzt wurde mein Lieblingsmusical endlich verfilmt - mehr oder weniger. Hier kommt mein befangenes Herz für Serie zur Musicalserie Rise.

Fünf Jahre nach dem vorzeitigen Ende der Musicalserie Smash wagte sich der US-Sender NBC erneut an eine Musicalserie. Nach den Upfronts 2018 ist nun klar, dass die 10-teilige 1. Staffel von Rise auch die einzige bleiben wird. Dennoch möchte ich euch diese kleine und kurzweilige Musicalserie ans Herz legen, die es innerhalb weniger Folgen schaffte, eine Welt voller realistischer Figuren und bewegender Songs zu kreieren. Vom ersten Vorsprechen bis zum Schlussapplaus der großen Vorführung des Musicals Spring Awakening ist Rise eine echte Herzensangelegenheit und eine Perle für Theaterenthusiasten und alle, die in der Schule auf der Bühne standen.

Disneys Moana singt für Ted Mosby

Zuerst aber die harten Fakten: Rise basiert lose auf dem Buch Drama High über den realen Lehrer Lou Volpe, der viele Jahre das Theaterprogramm der Harry S Truman High School leitete und einige prestigeträchtige Broadwaystücke auf die Schulbühnen brachte. Hinter der Serie steckt Friday Night Lights-Showrunner Jason Katims. Die Zutaten für eine erfolgreiche Serie waren von Anfang an gegeben. In den Hauptrollen wurden HIMYM-Star Josh Radnor und die Stimme von Disneys Moana Auli'i Cravalho besetzt. Auch das in der Serie thematisierte Musical Spring Awakening (basierend auf Frank Wedekinds Frühlings Erwachen) kann auf eine große Fanbase unter den Theaterfans zählen.

Wer Musicals mag, bitte melden!

Das mit acht Tony Awards ausgezeichnete Stück brachte bei seiner Broadway-Inszenierung zukünftige Stars wie Jonathan Groff, Lea Michele und John Gallagher, Jr. hervor. Als einer der Produzenten fungiert Jeffrey Seller, der in der Welt der Musicals hinter Stücken wie Rent, Avenue Q und dem Megaerfolg Hamilton steckt. Dass Hamilton-Mastermind Lin-Manuel Miranda auch noch einen Song zu Rise beisteuern würde, sollte auch den letzten Fan neugierig auf Rise gemacht haben. Doch dann kam die Pilotfolge.

Der Pilot des Grauens - Glee für Depressive

Ursprünglich wollte ich zur Ausstrahlung der Pilotfolge von Rise einen Serien-Check schreiben. Nach der Veröffentlichung der 1. Episode wurde das Internet allerdings mit negativen Vergleichen zu Glee überflutet - und tatsächlich hinterlässt der Pilot einen sehr faden Beigeschmack, der der restlichen Serie in keiner Weise gerecht wird. Denn der Serienauftakt präsentiert sich wie eine depressive und farblose Kopie der Musicalserie Glee. Statt eines Gesangsclubs geht es um eine Theater-AG, es gibt einen immer-motivierenden Lehrer, eine aufstrebende und talentierte Hauptdarstellerin, ihren homosexuellen Sidekick und einen Footballspieler, der eigentlich lieber singen würde.

And that kids, is how I met ...

So wirkt Rise auf den ersten Blick wie eine billige Kopie von Glee, nur eben in einer tristen Kleinstadt, die von entsättigten Farben und ausweglosem Leid definiert wird. Doch wer über diese anfänglichen Gemeinsamkeiten hinwegsehen kann und Durchhaltevermögen beweist, wird schnell feststellen, dass Rise überhaupt nichts mit Glee zu tun hat und sich eher an Serien wie Friday Night Lights oder This Is Us orientiert. Mit dokumentarischer Kamera verfolgen wir das Leben einer Gruppe von Schülern, die sich in einer tristen Industriestadt nur für einen Moment aus ihrer Durchschnittlichkeit flüchten wollen. Auch musikalisch wird sehr schnell klar, dass sich Rise von anderen Musicalserien wie Smash oder Glee distanziert und dabei einen innovativen Weg beschreitet.

Eine emotionale Reise für Musicalnerds

Was Rise von anderen Musicalserien abhebt, ist definitiv der Livegesang, der die Emotionalität der Figuren besser hervorhebt als ein vorproduziertes Playback. Während in der Pilotfolge noch nicht klar ist, ob die Darsteller nun während ihres Alltag plötzlich irgendwelche Popsongs zu singen beginnen, können Skeptiker gleich beruhigt werden. Im Verlauf der 10 Episoden singen die Schüler der Stanton High (fast) ausschließlich nur die Songs des Musicals Spring Awakening. Ebenso werden die Songs nicht in voller Länger herausgestellt, sondern integrieren sich ganz natürlich in der Verlauf der Handlung, wenn zum Beispiel die Lieder auf der Bühne geprobt werden. Leider bekommen wir dadurch kaum einen Song aus dem Stück in voller Länge zu hören. Oft werden Charaktere in der ungünstigsten Situation bei ihrem Livegesang unterbrochen. Dabei entstehen jedoch ganz besondere Momente, wenn beispielsweise die Stimme eines Charakters bricht und die Emotionen den Fortgang der Melodie verhindern.

Wer die Songs nicht kennt, sollte das schnell nachholen

Für Fans von Musicals bietet Rise einige tolle Easter Eggs. So spielt Broadway-Star Stephanie J. Block zum Beispiel eine wichtige Rolle, während die Pilotfolge mit zahlreichen Hamilton-Anspielungen punktet. Besonders große Freude bereitet jedoch die Inszenierung von Spring Awakening, wenn beispielsweise Teile der Choreographie und Kostüme direkt aus dem Originals entsprungen sind. Auch wer selbst einmal im Schultheater sein Talent beweisen konnte, wird sich in Rise wiederfinden können. Vom Probenprozess bis hin zur Bühnentechnik zeichnet Rise ein realistisches Bild des Schultheaters und garniert dies mit der wunderschönen Musik aus Spring Awakening.

Die Charaktere in Rise gehen ans Herz

Handlungsmäßig bleibt Rise tatsächlich ziemlich überschaubar. So hangelt sich der Plot von den ersten Vorsprechen über die ausgiebigen Proben und ihre Hindernisse bis hin zur großen Premiere des fertigen Stücks an simplen Plotpoints entlang. Das dünne Handlungsgerüst wird jedoch durch die Charaktere und ihre Konflikte befüllt. Diese repräsentieren eine Vielfalt an Problemen und Thematiken, die sich auch in der literarischen Vorlage des Frühlings Erwachens aus dem 19. Jahrhundert finden lassen und auch nach über 100 Jahren noch Jugendliche beschäftigen. Depressionen, Drogensucht, aufkeimende Sexualität, Homosexualität, Transsexualität, ungewollte Schwangerschaft: Sowohl auf als auch hinter der Bühne werden diese Thematiken ein Teil der Handlung - allerdings nie so überbordend plakativ wie in Glee.

Innerhalb weniger Episoden wachsen einem die Schüler der Stanton High ans Herz, wenn zum Beispiel Lilette aka Wendla Bergmann (Auli'i Cravalho) wieder mal mit ihrer Mutter streitet, Simon aka Hänschen (Ted Sutherland) seine homosexuellen Gefühle unterdrücken will oder Gwen aka Ilse (Amy Forsyth) von der Scheidung ihrer Eltern belastet ist. Fast schon satirisch wirkt der emotionale Handlungsbogen des glatt gebügelt aussehenden Quaterbacks Robbie aka Melchior Gabor (Damon J. Gillespie), dessen Geschichte damit endet, dass er eine Emotion zeigt und eine Schlüsselszene des Musicals ohne hölzernes Auftreten spielen kann. Auch wenn der Junge nicht allzu viele Gesichtsausdrücke auf Lager hat, zerreißt es uns trotzdem das Herz, wenn der Schüler seine Mutter im Hospiz besucht.

Jeden and'ren Tag klagt der Wind sein Leid

Dem Lehrer Mr. Mazzu (Josh Radner) wird ebenfalls einiges zugemutet. Nicht nur muss er ständig für die Umsetzung seiner Vision kämpfen, sondern geradezu hilflos mit ansehen, wie sein Sohn der Alkoholsucht verfällt. Doch gemeinsam als Familie überstehen die Mazzuchellis jedes Hindernis. Die einzelnen Handlungsbögen sind zwar nicht alle besonders innovativ oder dramatisch, dafür gehen sie ans Herz und sprechen eine Vielzahl von relevanten Themen an. Was die Inszenierung von Spring Awakening selbst angeht, können sich Fans auch eine treue Umsetzung des Stückes und zahlreiche beliebte Schlüsselszenen freuen. Das einzige Manko, das Kennern des Musicals sauern aufstoßen könnte, ist die Vernachlässigung der Figur Moritz Stiefel, deren essentielle Bedeutung für die Geschichte von Frühlings Erwachen hier auf ein Minimum reduziert wird.

Richtig geschaut. Ganz links singt Barb für euch.

Am Ende des Tages geht es in Rise gar nicht mehr wirklich um die Show. Sie ist zu einem Symbol geworden für unerfüllte Leidenschaften und Träume der Jugendlichen, während sie für die Erwachsenen zu einer Manifestation aller Sünde mutiert, die ihre Kinder befallen könnte. Stanton ist eine Stadt, in der die Wahrheit unter den Teppich gekehrt wird. Und das Stück Spring Awakening wird zur Bedrohung dieser vermeintlichen Idylle, da es die wahren Probleme anspricht. Doch am Ende schaffen es die Schüler, sich nicht den Mund verbieten zu lassen, und ihre wahren Emotionen auf der Bühne zu präsentieren.

Der letzte Meta-Vorhang fällt

Kurz vor dem Ende des Stückes erfährt Mr. Mazzu, dass - so beeindruckend die Leistung der Kinder auch sein mag - das Theaterprogramm abgesetzt wurde. In Hinblick darauf, dass die Serie nur vier Tage vor der Ausstrahlung des Finales abgesetzt wurde, scheint sich das nun Serienfinale seiner Endgültigkeit bewusst zu sein. Am Ende findet Rise nach 10 Episoden einen runden und bittersüßen Abschluss, der eine Fortführung der Figuren schmerzlichst vermissen lässt. Wie gerne hätte ich eine Aufführung des Musicals Rent in der 2. Staffel gesehen. Es bleibt ein schmerzlicher Meta-Abschied, als der Cast sich ein letztes Mal auf der Bühne verbeugt und sein Publikum mit einer einmaligen Vorstellung zurücklässt. So, jetzt wische ich mir mein Tränchen aus dem Gesicht und schwelge mit dem Soundtrack zur 1. Staffel in Erinnerungen an das Musical, welches ich nicht nur einmal live erleben durfte: "It's a bitch of living!"

Eine letzte Verbeugung

Songs in Rise, die kein Auge trocken lassen:

  • The Song of Purple Summer - "All shall know the wonder ..."
  • Mama Who Bore Me
  • Whispering - "See the father bent in grief ..."
  • Those You've Known -"All alone ..."

Konnte euer Interesse für Rise geweckt werden?

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