Pillars of Eternity: The White March im Test – Enttäuschend gut

26.02.2016 - 19:30 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Obsidian Entertainment
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Pillars of Eternity beschenkte Fans klassischer RPGs mit einem Spielgefühl, das sie seit Baldur's Gate 2 vermissten. Das Add-on The White March schlägt hingegen die Richtung von Icewind Dale ein und befindet sich damit auf dem Holzweg.

Vor knapp einem Jahr schmökerte ich mit Pillars of Eternity  in einem faszinierend reichhaltigen Fantasy-Roman , bei dem ich mir sicher war, dass ich später einmal vollends darin versinken würde. Und der richtige Zeitpunkt dafür schien nun gekommen. Denn inzwischen schickte Obsidian Entertainment seinen Wälzer mehrmals ins Lektorat und feilte dort an Formulierungen. Soll heißen: Das Studio strich nicht nur technische Unebenheiten glatt, sondern bedachte sein klassisches RPG etwa auch mit neuen Komfortfunktionen, die Spielern einerseits den Einstieg erleichtern und ihnen andererseits erlauben, noch tiefer in die Welt oder ihre Mechaniken einzutauchen.

Außerdem legten sie dem Hauptspiel ein neues Kapitel bei, das dank The White March Part 2  kürzlich seinen Abschluss fand. Doch während die Patches das Spielerlebnis schärfen, schleift das in zwei Teilen erschienene Add-on an den Ecken und Kanten, wegen denen ich eigentlich so an Pillars of Eternity hänge.

Pillars of Eternity: The White March

Dabei treten auch die beiden The White March-Teile in die Fußstapfen der Sorte Rollenspiel, in der ich nicht einfach nur mich in einer fremden Welt verkörpere. Stattdessen fühle ich mich in eine gänzlich andere Figur hinein, die ich über Charakterwerte, Levelaufstiege sowie Quest- und Dialogoptionen ausfülle – und zwar mit allen Konsequenzen. Daran erinnert mich das Add-on schon in seinen ersten Minuten.

The White March führt mich in die winterliche Gebirgsregion Weißmark, an deren Fuß das Fischerdorf Stalwart liegt. Nachdem ich den Ort vor einer Gruppe einfallender Oger beschützt habe, folge ich einem Hilferuf zu einer brennenden Hütte, in der zwei Menschen festsitzen. Lange halten sie nicht mehr durch:

Das Dach dieser Hütte ist fast vollständig von Flammen eingehüllt. Das Feuer lässt den Schnee in roten Farbtönen leuchten. Einige Balken sind nur noch glimmende Skelette.
Pillars of Eternity: The White March

Doch welchem Gruppenmitglied traue ich am ehesten zu, sich durch den dichten Rauch zu schlagen, der herabstürzenden Decke auszuweichen oder Schutt beiseite zu stemmen? Nach mehreren Versuchen gelingt es endlich der Jägerin Sagani, sich einen Weg durch den Brand zu bahnen. Angetrieben von diesem Erfolg denke ich schon an Erfahrungspunkte oder eine Quest-Belohnung – und stutze. Plötzlich stelle ich nämlich fest, dass ich nicht beide retten kann. Nicht, weil es mir das Drehbuch wie in einem Telltale-Titel vorschreibt, um einen dramatischen Höhepunkt zu setzten. Mir fehlen schlicht die nötigen Fähigkeiten.

Pillars of Eternity skizziert Situationen und Personen in seinen Texten zudem nach wie vor so klar umrissen, wie es andere Spiele trotz ausladender CGI-Zwischensequenzen nicht schaffen. Einige Augenblicke nach dem Ogerangriff platze ich beispielsweise in einen Streit zwischen der Bürgermeisterin und ihrem Sohn, den das Rollenspiel mit einem Auge für Details in Szene setzt:

Sie hält eine Hand hoch, an der das letzte Glied des Ringfingers fehlt. Aber es ist ihre Stimme, scharf und kalt, die den jungen Mann verstummen lässt. Während er grimmig auf seine Zehen starrt, wendet sie sich dir zu. Sie hat dunkle Ringe unter den Augen und ein steifes Grinsen auf den dünnen Lippen.
Pillars of Eternity: The White March

Einige Stärken von Pillars of Eternity greift das Add-on mühelos auf. Dafür scheitert es am Versuch, sich davon abzuheben. Das Hauptspiel wollte sich irgendwo im Spannungsfeld von Baldur's Gate , Icewind Dale  und Planescape: Torment  einrichten, fühlte sich aber letztlich in der Ecke von Baldur's Gate 2  wohl. Besonders Part 1 von The White March  schielt hingegen immer wieder zu Icewind Dale, worunter die großen und kleinen Geschichten sowie das Questdesign leiden.

Die Haupthandlung des Add-ons ist über weite Strecken wie eine fade Pizza. Mit der Story rund um Stalwart, das durch die uralte Zwergenfestung Durgans Batterie an seine ruhmreiche Vergangenheit anknüpfen will, walzt der erste Teil einen austauschbaren Boden platt und vergisst dann, ihn ordentlich zu würzen und üppig zu belegen.

Interessante Konflikte und Figuren bekommen nicht die nötige Luft, sich zu entfalten. Dadurch gleitet der Erweiterung unter anderem bei den Party-Mitgliedern viel Potenzial durch die Finger. Die Teufelin von Caroc etwa – ein Golem mit der Seele einer Mörderin – pendelt sich anfangs irgendwo bei GLaDOS und HK-47 ein.

Eisig kalt und grauenhaft nach Fisch stinkend. Und das waren nur die Bewohner.

Wobei diese Fassade im Rahmen ihrer persönlichen Quest aufbricht und den Blick auf einen Menschen freigibt, der daran zerbricht, kaum noch etwas menschliches an sich zu haben:

Dieser Körper – er wurde nicht zum Fühlen gebaut. [...] Es hat mich daran erinnert. Dass das alles der Fiebertraum eines Wahnsinnigen ist. Wie ein Gefängnis... nein, denn in einem Gefängnis legt man sich hin und spürt das weiche Stroh unter sich. Man spürt, wie das Schwarzbrot auf der Zunge zerfällt...

Leider steigt The White March jedoch nicht in solche Abgründe hinab, stattdessen wirft es höchstens ein, zwei flüchtige Blicke hinein.

Pillars of Eternity: The White March

Erst der zweite Teil des Add-ons bemüht sich darum, ein ungewöhnliches Thema zum Dreh- und Angelpunkt zu machen, das sich zuvor lediglich andeutete: Das Vergessen und der Wert von Erinnerungen. Sollen, dürfen oder müssen wir zum Beispiel traumatische Erfahrungen hinter uns lassen? Oder erkennen wir in ihnen einen Teil von uns und ziehen womöglich noch etwas Gutes daraus? Konkrete Antworten oder auch nur pointierte Fragen bleibt die Erzählung weitestgehend schuldig, da das angenehm gemächliche Erzähltempo von Pillars of Eternity mit einem Mal zum Sprint ansetzt und dabei über die eigenen Füße stolpert.

The White March Part 2 schiebt mir Stichpunkte oder Halbsätze zu, die mal zum Nachdenken anregen, mal bemüht nachdenklich wirken und somit kein zufriedenstellendes Gesamtbild ergeben – so wie die Diskussion, die ich mit der Göttin Ondra führe:

Ich: Was bedeutet es schon, ob man sich an etwas erinnert oder es vergessen wird? Beide Male liegt es in der Vergangenheit.
Ondra: Erinnerungen sind die Geister der Vergangenheit. Gerade du solltest wissen, welchen Einfluss sie auf die Gegenwart haben, Wächter.
Ich: Wir müssen sie tragen, ob wir wollen oder nicht.
Ondra: Sterbliche messen den Wert ihrer Leben an der Erinnerung. "Wer wird sich an mich erinnern? Wie lange, bis ich vergessen bin?" Die Erinnerung beherrscht jeden Gedanken, beeinflusst jede Entscheidung. Sie kann Leidenschaft nähren. Verständnis. Liebe. Oder sie kann Besessenheit schaffen. Wahnsinn. Du hast auf deinen Reisen viele Seelen gesehen, die von ihr gepeinigt werden. Sie könnten frei von ihren Lasten sein... wenn sie nur vergessen könnten.
Pillars of Eternity: The White March

Die Aufträge verzweigen sich häufig und kommen abhängig von mir immer wieder zu einem anderen Ende. Diese Freiheiten beschränken sich jedoch vor allem in der ersten Hälfte meist auf die Gespräche. Das, was ich zwischen den Unterhaltungen tun muss, läuft hingegen zu oft zu ähnlich ab und auf Gefechte hinaus. Ohnehin überschätzt The White March Part 1, wie viel Spaß ich an Kämpfen in einem klassischen Rollenspiel habe. Für mich sind sie eine Reise, die ich gerne antrete, um Erfahrungspunkte zu sammeln, mit denen ich meine Charaktere weiter forme, um mir neue Handlungsmöglichkeiten zu erschließen, oder auf den Punkt gebracht: um weiter die Welt und die Geschichten darin zu erleben. Allerdings wirft mir Part 1 auf diesem Weg zu viele Steine in Form von zahllosen Gegnergruppen entgegen. Kurz vor dem Finale drehe ich in einem kaum enden wollenden Hamsterrad aus Kämpfen, Speichern, Kämpfen, Laden, Kämpfen und Speichern meine Runden, bis ich entnervt eine Pause einlege und den Endkampf auf morgen verschiebe. Spannungsaufbau geht irgendwie anders.

The White March Part 2 macht vieles besser, reicht allerdings kaum an Pillars of Eternity heran ein Fazit, das (inklusive Patches) leider auch auf das Add-on an sich zutrifft.


Pillars of Eternity: The White March Part 2 erschien kürzlich als DLC für PC. Am 1. März kommt zudem eine Game of the Year-Edition in Deutschland, Österreich und der Schweiz als Boxed-Fassung in den Handel, die Pillars of Eternity und beide Teile des Add-ons umfasst. Part 2 wurde uns in Form eines Review-Codes vom Publisher zur Verfügung gestellt.

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